Viana do Castelo - Vila Praia de Ancora

 Während Thomas vorweg dackelt, hüpfe ich noch ein bisschen in der Gegend herum und fotografiere "alte Steine" - genau das würden nämlich jetzt unsere Leben sagen: Muddi, mit dir müssen wir immer alte Steine gucken! Darum kriege ich auch nicht mit, dass er sich vertut und immer der salzigen Brise in Richtung Meer folgt, während der Camino tatsächlich nach rechts abbiegt, zwei Straßen unterschlupfelt und sich dann halbhoch an einem Hügel entlangstreckt.

 

Irgendwann klingelt mein Handy - d. h. eigentlich klingelt es nicht, sondern es lacht wie ein Zombie in der Geisterbahn. Ich habe lange nach einem Ton gesucht, den ich nicht überhöre. Eine Zeitlang habe ich mich sogar selbst angeschrien: Geh endlich an dein Handy! - Der Erfolg war mäßig, davon einmal abgesehen, dass ich mich immer gewundert habe, wer da denn herumbrüllt wie eine wildgewordene Furie.

Joa, ich höre normalerweise zwar mein Handy, aber eben nicht, wenn ich gerade Musik in den Ohren habe. Im Moment stampfe ich nämlich im 6/8tel-Takt zu "Hijo de la Luna" in der Aroha-Fassung über den Asphalt (Aroha stammt von den Kriegstänzen der Maori, ist entsetzlich anstrengend, gibt aber ungeheuer viel Energie, wenn man sich von all dem Getrete und Geschlage ein bisschen verschnauft hat und macht richtig Spaß! - Gut, treten tu ich jetzt gerade nicht und tanzen auch nicht wirklich, aber die Musik ist klasse!).

 

So wundere ich mich also nur, dass mir hin und wieder der Bauch vibriert. Ich habe mein Handy nämlich in der Bauchtasche (noch blöder ist es, wenn ich es in der Brusttasche habe, dann vibriert immer mein Busen und ich wundere mich ... Ach lassen wir das). Irgendwann merke dann aber selbst ich, was da los ist und gucke drauf: 6 Anrufe in Abwesenheit - Heideröslein!, Thomas kennt mich und ist harnäckig. Mit dem nächsten Anruf stellt sich heraus, dass er irgendwo noch ziemlich weit hinter mir ist, inzwischen aber von einer netten Portugiesin abgefangen, mit Wasser und Keksen versorgt und wieder auf den rechten Weg gebracht wurde.

 

Och Menno!, der Typ in Esposende hat mich nicht gefüttert und gewässert! Der wollte nur ... Nee, ich möchte mir lieber nicht vorstellen, wie ich mit einem Kopftuch seine ollen Schlübber in einem Waschhäuschen schrubbe und mit dem Putzlappen durch sein Haus jage und was anderes schon mal dreimal nicht!

 

Ich setze mich und warte auf ihn, aber bis er mich endlich eingekriegt hat, telefonieren wir noch zweimal mehr miteinander. Wenn er nicht dauernd am Telefon hinge, sondern lieber zulaufen würde, wäre das auch schneller gegangen! - Hach ja, Männer halt, sind nur glücklich, wenn sie Technik in der Hand haben!

 

Ich behaupte jetzt nicht, dass Thomas die ihm gegebene Technik auch beherrscht. Ich habe nämlich noch nie einen Menschen gesehen, der so ausgiebig über seine Handys schimpft wie er: Mal geht das Internet nicht richtig, dann ist immer der Akku leer, dann verschwindet seine Umstellfunk- tion in den unendlichen Tiefen der Einstellungsgalxien, einmal hat es dieses dämliche Ding nicht geschafft, eigen- ständig vom Autodach ins Innere zu hüpfen und wurde prompt totgefahren ... Und denkt nur nicht, dass er nur mit einem Handy einen Fehlgriff getan hat - nein, JEDES Mobiltelefon wird in seinen Händen zu einem Desaster!

 

Ähm, wo waren wir? Ach ja: Ei guckt mal, wer da kommt! Nun hat er es doch noch geschafft! Aber ich glaube, ich bleibe jetzt erst mal ein Weilchen in seiner Rufnähe, dann braucht er nicht dauernd zu witschen und zu wutschen, wenn er mir etwas sagen will.

 

So dippeln wir Seite an Seite weiter und weiter über Pflasterwege, die ganz eng zwischen wunderschönen Steinmauern eingesperrt sind. Ich muss schon sagen, dass die Steine unter unseren Füßen langsam unangenehm werden, aber dann gucke ich und gucke und gucke und - schwups! - habe ich meine Füße völlig vergessen. Es ist doch eigentlich ganz einfach: Man muss nur sein Hirn so mit schönen Dingen beschäftigen, dass es gar keine Zeit hat, sich mit nicht so schönen Sachen zu beschäftigen!

 

Nagutnagutnagut, wir pilgern natüüürlich nicht nur durch Mauern, sondern hier und da auch einmal durch Eukalyptus- wälder. Dieses Foto hat mir - trotz meiner Skepsis gegenüber diesen Anpflanzungen, die in Europa so gar nichts zu suchen haben und die Natur ganz erheblich beeinträchtigen - so gut gefallen, dass ich es als Vornedraufbild für meinen nächsten Bauchfüßler benutze. Guut, DEN Pilger hätte ich nun auch nicht unbedingt ... Zu spät! Er ist ja auch nur ganz klein und fällt kaum ins Auge.

 

Also Kinders, ich will ja nicht päpstlicher sein als der Papst, aber Eukalyptus ist wirklich ein zweischneidiges Schwert: Er wächst enorm schnell, aber nur auf humusarmem Boden. In seinen 10 Lebensjahren benötigt er so viel Wasser, das er sich mit seinen Saugwurzeln auch noch von Brunnen ganz weit weg holt. Während die Waldbranntgefahr durch seine ätherischen Öle wächst, sinkt der Grundwasserspiegel. - Ich hätte ja nichts dagegen, wenn mich in diesen Wäldern Koalabären verträumt angucken oder hier oder da Känguruhs über den Weg hüpfen würden, aber weil es die hier nicht gibt und einheimische Tierarten einfach nicht auf Hustenbonbons eingestellt sind, fallen sie als Lebensräume leider aus.

Und mal Hand auf's Herz: Die Natur hat sich doch schon etwas dabei gedacht, dass Eukalyptus in Europa nicht vorkommt, warum müssen wir Menschen es immer besser wissen als die Natur? Und wofür überhaupt? - Für Zellstoff - also Papier, Klopapier, Taschentücher, Watte und Küchenrollen. Gut, Weinpfropfen aus der Korkeiche hört sich jetzt auch nicht unbedingt nach etwas Großartigem an, aber ist euch schon einmal aufgefallen, wie viele Weinflaschen inzwischen einen Schraubverschluss haben? - ... Was den Pilgern dann aber auch wieder sehr entgegenkommt, denn um die zu öffnen, muss man nicht einmal quer durch die Herberge wuseln und einen Korkenzieher suchen.

 

Ach, es hat eben immer alles seine zwei Seiten. Ob das mit dem Eukalyptus auf lange Sicht eine gute Idee ist - wer weiß. Wenn aber nicht, dann ist es eine sehr, sehr, seeehr lange Angelegenheit, das wieder rückgängig zu machen, denn der Boden ist dann einfach nunmal ausgeschwemmt und wenn man dann wieder einheimische Bäume anpflanzen kann, wachsen sie nicht über Nacht in den den Himmel.

 

So, nun habe ich mich aber so in Kluggesabber verhüddelt, dass ich nur dusslig Thomas hinterhergestupfelt bin und dass heute nicht wirklich der Tag ist, an dem er seinen Weg findet ... Wie gut, dass er vor mir herwackelt und ich die Schuld für meine eigene Dussligkeit und Blindfischigkeit auf ihn schieben kann! Oder war da nur der Kaffeedurst und die unterbewusste Sehnsucht zurück zum Meer böse Stiefmutter des Gedankens?  Jedenfalls stapfen wir sehr von uns und unserem Tun überzeugt nach links bergab durch das nächste Ort und finden endlich eine Bar, in der wir es uns gemütlich machen, die Wanderschuhe ausziehen und unsere Nasen abwechselnd in Tassen, Gläsern, ein Eis und die Sonne strecken. Jeppjeppjepp, so lässt es sich aushalten.

 

Und dann passiert es: Wir verpassen gnadenlos den Weg. Irgendwie haben wir nicht aufgepasst und wundern uns nur, weil wir keinen Pfeil mehr sehen. Aber das heißt ja ganz oft auch, dass man einfach weitergehen soll, und irgendwie gibt es hier nicht so viele andere Möglichkeiten. Dann finden wir tatsächlich einen Pfeil an einer Mauer, der genau in die Richtung zeigt, in der wir gehen, und wir sind uns ganz sicher, alles richtig gemacht zu haben.

 

Naja, allzu falsch war es gefühlt auch wirklich nicht, denn wir landen direkt am Casion von Afifense ... und an einer Bar. Ja, das ist fein! Café com leite, Coca Cola und ein Eis!

 

Wir ziehen Schuhe und Strümpfe aus, blinzeln träge in die Sonne und lassen es uns wohlergehen. Als wir genug ausgeruht haben, lassen wir unsere Blicke ein bisschen schweifen. Nein, gelbe Pfeile gibt es hier nicht, dabei befinden wir uns mit Sicherheit genau am Verkehrsknoten- punkt des Ortes. Hm.

 

Und dann machen wir einen entscheidenden Fehler: Wir fragen die Herren um uns herum, wo wir denn nun weitergehen müssen, vergessen dabei aber völlig, dass das ganz bestimmt keine Pilger, sondern Autofahrer sind! - Mal Hand auf's Herz: Wenn mich jemand fragt, wie man ins Nachbarort kommt, fällt mir auch erst mal nur die Straße ein. Durch den Wald auf unserer Seite des Ortes in den nächsten Ort - das kriege ich halbwegs hin (ich habe mich hier so oft verlaufen, dass ich ihn besser kenne als so mancher andere!). In die andere Richtung aus Wissedal hinaus ... uuuh, da könnte es spannend werden! Da bin ich schon manchmal mit dem Rad gefahren, aber der Wald ist viel größer und ... nunja, ich gehöre nicht zu den Menschen, die für eine Expedition in unbekannte Gefilde weiter als 5 km fahren müssen, was durchaus auch seine Vorteile hat.

 

Folgerichtig sind die Herren sehr nett und hilfsbereit ... schicken uns allerdings die Straße entlang. Einer fühlt sich dabei deutlich unwohl und warnt uns besorgt und wirklich eindringlich, wir sollen aber bitte sehr vorsichtig sein, weil uns die Autos sehr nahe kommen würden.

 

Wir machen uns also auf und dackeln die Straße entlang. Das geht auch erst einmal ganz gut ... bis die auf eine stark und schnell befahrene Nationalstraße mündet. Na klasse! Das hat der Herr also gemeint! Meine Lieben, wir haben uns schon so oft die Haare gerauft bei Warnmeldungen, dass irgendwo Fußgänger auf der Autobahn unterwegs sind. Zum Glück haben wir kein Radio und wenn, würden wir die Meldung, dass mal wieder zwei dusslige Pilger auf dieser Nationalstraße unterwegs sind - die kommen bestimmt aus Deutschland! -, wenn sie denn käme, nicht verstehen würden und was wir nicht wissen, macht uns nicht heiß.

 

Aber heiß wird uns - und wie! Das ist echt kein Spaß hier und wir schwitzen Blut und Wasser! Dabei halten wir uns an der Hoffnung fest, dass es ja nicht mehr allzu weit sein kann. Wir haben es bestimmt gleich geschafft! - Manche Autofahrer winken uns freundlich zu und wir lächeln mit zusammengebissenen Zähnen zurück ... bis wir merken, dass wir genau in die falsche Richtung eingebogen sind.

 

 

 Anstatt nach Ancora sind wir genau zurück gegangen und finden nicht weit unterhalb der Bar, vor der der freundliche Herr wahrscheinlich sitzt und die Verkehrsmeldungen im Radio verfolgt, endlich, endlich! einen Weg herunter von dieser Schnellstraße. Ich will jetzt auch gar nicht wissen, was die Autofahrer über uns gedacht haben, dass wir zu ihren wild gewedelten Bemühungen uns auf unseren Irrtum aufmerksam zu machen nur dämlich  gegrinst haben!

 

Mir ist einen Moment lang nach heulen, aber das würde nun gerade auch nichts daran ändern, dass wir zwar nicht wissen, wie wir nun weiterkommen, uns aber in einem Punkt ganz und gar einig sind: Wir setzen keinen Schritt mehr auf diese Straße!

 

Den Camino haben wir irgendwo oben auf dem Hügel verloren. Wieder dort hinauf zu laufen, dafür sind wir beide ehrlich gesagt zu faul und inzwischen auch ein bisschen zu müde. Die Straße hat uns ein bisschen gebeutelt. Und weil wir eh direkt am Meer sind, beschlieen wir, zu gucken, ob wir da irgendwie weiterkommen.

 

Anfangs ist da auch noch eine Straße, aber die hat irgendwann ein Ende und mir wird heiß und kalt. Wir finden einen Trampelpfad durch Baumgebüsch (schaut ihr die beiden Bilder gleich hier oben) - total schön! ... wenn da nicht in mir diese Unsicherheit wäre. Ich weiß ja nicht, ob der nicht nur zu einer Bucht führt und wir dann auch wieder nicht weiterkommen. Also kann ich diesen Weg, der doch so richtig nach meinem Herzen ist, leider nicht wirklich genießen. Ich bin ja ein eingefleischter Schöngucker und übe mich wirklich in Annehmen - die Situation annehmen, weil wie es auch kommt, es kommt halt so und ich kann eh nichts daran ändern, ob ich jetzt zausele oder nicht. Oder wie unsere Oma immer sagte: Tritt dem Teufel auf den Fuß, du weißt nie, wofür es gut ist!

 

Recht hatte sie (wie schon so oft)! Nach einer Weile landen wir erneut auf einem dieser Holzstege und der führt uns zumindest an die Mündung des Rio Ancora. Die Stadt liegt uns genau gegenüber auf der anderen Flussseite (ich finde es noch immer ein bisschen komisch, vor einem Vokal drei gleiche Konsonanten zu schreiben) - zum greifen nah und doch ... Oh, guckt mal da vorne, ist das nicht ein Brückchen? Nee, ne. Wir werden dem Teufel doch nicht so auf den Fuß getreten sein, dass der es nun wirklich gut mit uns meint?!

 

Doch, tut er. Wir müssen nur ein bisschen über den Sandstrand stapfen und - schwups! - sind wir da! Also ziehen wir Schuhe und Strümpfe aus und halten munter auf sie zu.

 

Auf der Stadtseite werden wir sofort von einer Dame angesprochen, ob wir ein Bett suchen, was wir jetzt, müde aber glücklich wie wir sind, nicht unbedingt verleugnen können. Sie hätte eins, nimmt uns im Schlepptau mit in ein Restaurant, händelt da noch eine Weile mit wohl ihrem Ehegemahl, der allerdings nicht sehr begeistert zu sein scheint. Als sie mit uns zu ihrem Auto geht, wird uns die Sache aber doch auch oger: Wir wissen ja nicht, wo sie uns hinfahren wird und wie wir von dort morgen früh wieder auf den Camino kommen sollen. Als wir uns dankend von ihr verabschieden, ist sie ein wenig ungehalten mit uns. Aber die hat ja auch ein Auto und mit dem sehen zwei Kilometer viel kürzer aus als zu Fuß!

 

Weil wir wissen, dass die nächste Herberge erst in Caminha kommt und wir diese Etappe eh teilen wollten, hatten wir In Afifense auch schon die hilfsbereiten Herren gefragt, ob sie nicht eine Unterkunft für uns wüssten. Einer von ihnen hatte uns den Namen einer Pension gegeben, die Pilgern einen speziellen Rabatt einräumt. Genau diese Unterkunft nennt uns die Touristeninformation auch und sie ist hier gleich um die Ecke und quasi direkt in der Ortsmitte - und Kinders, die ist klasse! Wir bekommen nicht ein Zimmer, sondern eine ganze komplett eingerichtete Ferienwohnung! Natürlich werden wir nicht mehr nutzen als Bett und Bad - wir sind nicht so die Selbstkochpilger, weil wir 1. beide einfach angekommen zu müde dazu sind und 2. viel zu gerne einheimisch essen - also nicht unbedingt ein Schnitzel ... aber ich kann euch sagen: Auf dem Hauptplatz gibt es eine Bar, die hat superleckere Hamburger! Sehr einheimisch!

 

Aber wisst ihr was? - Wir sitzen hier nicht lange alleine, denn nach und nach kommen einige Mitpilger vorbei, die auch hier Zwischenstation machen.

 

Heideröslein!, das war ein Tag mit ganz vielen Aufs und Abs - nicht nur höhenmetrig gesehen! Und am Ende ist alles gut! Ist das nicht klasse? - Das ist für mich Camino!