Casa Fernanda - Ponte de Lima

Der Tag beginnt (fast) so (hihihi, nein, es gibt keinen Schnaps zum Frühstück), wie der gestrige aufgehört hat: bei Fernanda am Esstisch und einem sehr entspannten Frühstück. Es ist schon lustig: Wir haben es heute alle nicht eilig aufzubrechen, kein schneller Kaffee und los, sondern irgendwie ... Ich glaube, keiner von uns geht her gerne wieder weg.

 

Aber es hilft ja alles nichts: Wir sind Pilger auf dem Camino und auch, wenn wir uns gerne auf Fernandas Inventarliste setzen würden, wir können ja hier nicht gut alt werden!

 

Als ich davon stapfe, bin ich irgendwie völlig in mir selbst versunken (vielleicht vernebeln mir auch die Restpromille von gestern ein bisschen Augen und Hirn). Irgendwann schreit eine Damenstimme, aber ich ... fühle mich nicht angesprochen. Auch das wilde Gefuchtel kann ja kaum ... Oder doch?

 

Natürlich galt es mir. Es ist kaum zu glauben, aber selbst hier, völlig jwd von allem, habe ich es geschafft, mich keine 2 Minuten von der Herberge entwfernt komplett zu verlaufen. Später erzähle ich zwei Mitpilgern davon, von mir und meiner Dussligkeit total überwältigt. Ihr Kommentar: Oh, hatte die eine blaue Kittelschürze an? Ja, die kennen wir auch!

 

Bei mir liegt das aber leider nicht an dem leckeren Port von gestern, sondern tatsächlich schaffe ich das auch ganz mit ohne Hilfe und regelmäßig: Jeden morgen brauche ich eine Weile, bis sich meine verknasterten Äuglein auch wieder für gelbe Pfeile und Muscheln öffnen, was heißt, dass meine Tagesetappen mindestens 1 km länger sind, als für "Normalpilger" ... wobei es heute ganz offensichtlich eher normal ist, nicht einfach nur ... Lalala!

 

Der langen Rede kurzer Unsinn: Auch ich schaffe es endlich wieder auf den Muschelweg ... und verliere mich irgendwie komplett. Ich stehe bewundernd vor blumenüberwucherten Mauern, schnuppere an jedem einzelnen Blütchen und bewege mich fast den ganzen Tag wie auf rosaroten Wölkchen.

 

Kommt euch komisch vor? - Ja, täte es mir auch, wenn ich diesen Zustand nicht kennen würde ... und wüsste, dass es mir nicht alleine so geht. Es gibt unterwegs so Zeiten, da ... ist man hinterher fast froh, dass man ganz weit von Städten und psychiatrischen Notfallzentren entfernt ist, weil sonst würde die Pilgerreise womöglich ein jähes Ende nehmen, da ist man ein bisschen entrückt, ein bisschen ... in einem eigenen Universum. Dann macht man ganz komische Dinge: Auf meinem ersten Camino habe ich tote Bäume fotografiert - ein bisschen mobrbide, aber ich war völlig eingenommen von ihrer Schönheit. Auf meinem zweiten Camino habe ich im ersten Jahr manchmal bäuchlinks auf dem Weg gelegen und Ameisen oder Käfer beobachtet. Lach!, da hatte ich bald meinen Ruf weg.

 

Im Jahr darauf habe ich einen Mitpilger einmal so erschreckt und ihm so hemmungslos meinen Krüddel über das miese Wetter um die Ohren gehauen, dass er tagelang einen Bogen um mich gemacht hat! - Aber das war eh ein Ausnahmecamino, mein magischer Weg und an dieser Magie waren ganz viele Menschen beteiligt, so dass ich nicht so aus der Rolle fiel. Das war klasse! Vor zwei Jahren war es mir einmal total peinlich, weil mich Mitpilger dabei erwischten, wie ich Spinnweben fotografiert habe - woraufhin sie mir auf der Kamera ihre Bilder gezeigt haben und ob ich die auch gesehen habe! - Ihr seht also, irgendwie bin ich manchmal ein bisschen bekloppt ... und befinde mich damit in allerbester Gesellschaft. Und es ist so herrlich, wenn einem selbst das Herz so aufgeht und man merkt, dass andere genau das gleiche erleben! DAS ist für mich Camino!

 

 

Und heute? - Heute mache ich das, was ich immer total blöde gefunden habe: Ich fotografiere Blumen - große, kleine, Blüten und Blütchen, Mauern ... Ich fand es immer total komisch, dass Menschen auf den Caminos dauernd Blumen fotografieren müssen - jetzt tu ich es selbst ... wenn ich nicht gerade mit der Nase in ihnen stecke. Und zwischendurch ... laufe ich und schmettere lauthals lustige Liedlein vor mich hin: "Ein kleines, graues Eselchen, das wandert durch die Welt", "Ich bin ein kleiner Italiano" (und ich kriege den Text noch fast vollständig hin!), "Nackedei, alle geh'n heut nackedei", "Saint Tropez bei uns am Baggersee" und sogar Adam und die Micky's sind dabei "Und mein Freund und ich auch liegen nur noch auf dem Bauch, uiuiui, was schäääm ich mich!" - nur "Mein Freund der Baum ist tot", nein, das passt heute gar nicht!

 

Was total schön ist: Ein Pärchen aus meiner Pilgerclique kommt aus Kroatien. Sie erwischen mich zwischen Blüten und schrägen Tönen und dann schmettern wir gemeinsam "Marijana". Der Hammer! Das Lied hab ich mit 16 auf einer Ferienfreizeit gelernt und bin zugegeben nicht mehr ganz textsicher, aber ich kann noch guut mithalten! ... zumal meine Mitpilger zwar die Melodie und das Lied kennen (wahr-scheinlich so, wie man halt Lieder von Ernst Mosch ... naja, schon einmal von ihnen gehört hat; die beiden sind ein gutes Stück jünger als ich), aber nicht den Text und weil ich den auch nicht mehr so richtig zusammenkriege, gröhlen wir halt vor uns hin, bis uns die Tränen über die Wangen laufen! Ach Kinders, ist das herrlich! ... Und dann wackeln wir mit unserem Hinterteil, grad wie es uns gefällt, i-ah, i-ah, i-ah-i-ah-i-ah!

 

Die Strecke nach Ponte de Lima ist nicht allzu weit und wir sind zeitig dort. Die Herberge braucht noch ein paar Stunden, bis sie öffnet, aber das macht nichts. Ich schlendere durch die Markthalle und finde dann eine nette Bar. Den Hauptgang lasse ich ausfallen und esse dafür doppelten Nachtisch, weil der total lecker ist. Ich bitte das Mädel, mir den Namen aufzuschreiben (denke ich) und erhalte von ihr nicht nur den Namen, sondern auch Adresse und Telefonnummer der Bar. Irgendetwas ist da wohl falsch gelaufen!

 

Dann schlendere ich durch die Stadt und treffe nach und nach die ganze Clique wieder. Die beiden Kroaten haben sich ein privates Zimmer genommen, denn heute ist hier große Fiesta mit einer wohl ziemlich bekannten Sängerin, die sie auf keinen Fall verpassen wolen - und ich fühle mich ... Aber ich weiß zumindest noch, wer ernst Mosch ist!

 

Als ich zur Herberge komme, ist es noch ein ganzes Stück hin bis zur öffnung, aber ein netter Engländer sitzt in der Bar davor und - schwups! - sitze ich dabei. Kinders, der hat seine Angel dabei! Also bitte, wer sagt da, ICH sei abgedreht?! Aber er ist wirklich nett und wir vertrödeln eine sehr schöne gemeinsame Zeit und beobachten schmunzelnd, wie ein japanischer Herr immer wieder aufspringt und auf die Einhaltung der Reihenfolge der Rucksäcke achtet, damit sich nur ja keiner vordrängt. Heideröslein!, so kann man seinen Tag auch verbringen! Zumal am Ende, als die Türen aufgesperrt werden, sowieso jeder wild kreuz und quer durcheinanderläuft und sich so gar nicht um eine Reihenfolge schert. Ich zuchtel mich nur kurz mit meinem Engländer, weil der ja vor mir da war, was uns ganz schnell auf eine britisch-deutsche Gemeinsamkeit bringt: In England sagt man uns Deutschen nämlich nach, wir würden immer schon halb Mitten in der Nacht irgendwelche Liegen mit Handtüchern reservieren! Hat man da noch Töne?! Wenn DAS ein Deutscher macht, dann doch nur, weil Engländer gleich zwei Liegen für sich beanspruchen! Hallo!

 

Aber, meine Lieben, wir sind ja nicht in einer Ferienanlage, hier gibt es keine Sonnenliegen (aber in der Herberge sehr schöne Betten) und wir sind immerhin Pilger, also kriegen wir uns jetzt in die Haare, wer wen vorlassen darf! .... während der japanische Herr wahrscheinlich gerade beschlossen hat, dass Europäer im Allgemeinen und Pilger im Speziellen einfach zu dusslig sind, sich auch nur an die einfachsten Regeln zu halten.

 

Allerdings tut mir in der Rudeldusche  seine Frau wirklich leid, weil sie mit der Situation, von mehreren mit blankem Busen herumhüpfender nackeliger Frauen umgeben zu sein, ganz offensichtlich wirklich überfordert ist und sich ausgesprochen unwohl fühlt.

 

Frisch entstunken (soweit man das nach immerhin nun doch schon zwei Wochen Handwäsche so nennen kann) schlendere ich mit anderen Pilgern wieder über die alte römische Brücke zurück, um nach einem Abendbrot Ausschau zu halten. Die anderen möchten gerne ein Restaurant mit Pilgermenü suchen. Also trennen wir uns und ich wackele mit einer Holländerin zum Festgelände, weil ich einfach denke, dass es da ganz bestimmt etwas Typisches für hier zu essen gibt. Ich bin nicht so der Fan von Pilgermenüs, die ganz oft zu einem großen Teil aus Pasta bestehen. Ich mag lieber das essen, was die Menschen um mich herum essen. Schnell finden wir einen Stand mit Caldo verde (aus Spanien kenne ich das als Caldo galego - na bitte, wenn das nicht eine tolle Vorspeise ist! Dann wird die Auswahl allerdings für meine vegetarische Bekannte ein bisschen sehr dürftig, denn wir sind in Portugal, wo man mindestens dreimal am Tag Fleisch isst. Wir finden zwar auch noch einen Stand mit Pulpo, aber, Kinders, ich weiß, wie gewöhnungsbedürftig der ist. Während mir die Gier aus den Mundwinkeln sabbert, schrubbelt sich bei ihr der Nasenrücken nach oben und ich muß so lachen, weil es mir beim ersten Mal auch so ging! Also trennen wir uns: Sie macht sich auf die Suche nach einem Restaurant mit Essen mit ohne Fleisch und Kraken, und ich mache mich über eine extragroße Portion Pulpo her. Ob ich dazu auch noch extra viel Brot haben möchte? - Das ist ja nett, aber danke, das muss nun wirklich nicht sein!