Ponte de Lima - Rubiaes

Natürlich dabbel ich morgens als erstes verkehrt! Aber bitte: Wer hat denn auch diesen blöden Fahrradfahrer verkehrt fahren lassen?! Dem bin ich nämlich hinterhergedackelt und dachte, er wird schon wissen, was er tut. Nein, tat er nicht! - D. h. er wusste es schon und war sicher auch richtig, aber dann hätte er sich doch bitteschön ein Schild an den Buckel knübbeln können mit dem Hinweis, dass er NICHT auf dem Jakobsweg unterwegs ist. An den ersten beiden Kreuzungen denke ich noch, kein abbiegender Pfeil, also geradeaus. Aber dann ... Nicht schlimm, gehe ich eben die letzte halbe Stunde wieder zurück und guck, wo ich mich vertan habe. Praktischer Weise ist das genau an der Herberge, neben der direkt eine Bar ist. Gut, gefrühstückt hatte ich ja schon, aber da sitzen jetzt Teile meiner Pilgerclique und wer weiß, wann die nächste Bar kommt. Und ein Päuschen habe ich mir doch auch schon verdient. Gut, ich bin eigentlich nicht weit gekommen, aber dafür habe ich ziemlich lange gebraucht!

 

Die heutige Etappe hat bei manchen für ein bisschen Unruhe gesorgt. Immerhin führt sie über die auf dem Camino Portugues höchste Erhebung. Die ist zwar nur gut 400 m hoch, aber wenn man von 0 startet ... ist das schließlich so, wie wenn man einen Dreitausender besteigt ... von 2600 m ab gerechnet.

 

Allerdings geht es anfangs sehr langsam und kommod (ist das nicht ein tolles Wort? Und leider fast vergessen! Ich liebe solche Wörter: Hinter meinem Schreibtisch z. B. steht, und das ist wirklich einer meiner Augäpfel, Omas Kredenz!) (und wenn jetzt jemand von euch einen fröhlichen Spruch über das Alter im Allgemeinen und meines im Besonderen macht, den krieg ich am Schlafittchen und beutel ihn so lange durch, bis ihm ganz blümerant wird!) bergauf und der Weg zieht erst auf die letzten Höhenmeter etwas stärker an. Und - schwups! - stehe ich auch schon vor dem Franzosenkreuz.

 

Das Franzosenkreuz ist für den Camino Portugues das, was das Cruz de ferro für den französischen Weg ist: Pilger legen hier mit einem Stein ihre Sorgen und Nöte ab. Das hier auch das Buch "Schuld und Sühe" von Dostojewski liegt ... hat ein bisschen ein Geschmäckle!

 

Lustig finde ich auch, dass ich ausgerechnet mit den beiden Franzosen meiner Pilgerclique hier ankomme! Wir fotografieren uns gegenseitig und geben uns Regieanweisungen und lachen uns schickelig darüber, wie dusslig der andere aussieht, wenn er sie befolgt. Die beiden sind klasse und ich habe sie echt in mein Herz geschlossen!

 

Und jetzt denkt ihr bestimmt: Da isse ja gar nicht drauf auf dem Bild! - Nein, bin ich nicht, weil die Fotos mit mir sind echt NICHT zeigenswert ... auch wenn sie für mich ganz besonders sind, weil wir so viel Spaß hatten. Es gibt auf dem Camino einfach Dinge, die bleiben auf dem Camino ... und in meinem Bauch.

 

Es geht noch ein kurzes Stück ziemlich taff weiter und dann wirft sich mir totesmutig ein großer Stein vor die Füße und will sofort von mir besetzt werden. Seit Ponte de Lima habe ich noch keine Pause gemacht und bin jetzt echt ein bisschen hungrig.

 

Als ich so sitze und abwechselnd an Nüssen (eigentlich müsste mir auf jedem Camino ein langer Buschelschwanz wachsen, weil ich mich manchmal wirklich nur von Nüssen ernähre: sie sind leicht, gut zu transportieren und haben genial viel Energie) und einem Apfel knabbere, kommt der Amerikaner (ihr wisst schon, der, bei dem das Gesicht vorne aus dem Hemd herauskommt und hinten im Kragen verschwindet) daher und - schwups! - hocken wir da wie zwei Affen auf dem Schleifstein, knabbern (Pilger sind da sehr großzügig miteinander, denn was der andere isst, braucht man selbst nicht mehr zu tragen), reden und genießen den Moment. Später treffe ich ihn zusammen mit den beiden Franzosen und den Kroaten in einer provisorischen Bar in einem Garten wieder und das ist so schön! DAS ist eines der Dinge, die ich ganz besonders am Camino liebe: Man ist hunderte von Kilometern weg von zu Hause, aber wenn man an eine Bar kommt, sitzen da meistens schon Menschen, die man kennt, die sich freuen, einem zu sehen, und bei denen man sich selbst freut, sie zu sehen. Man ist nie irgendwo fremd, nie alleine (es sei denn, freilich, man möchte es), sondern immer ein bisschen wie daheim. Mein Lieblingsbeispiel: Als wir zum ersten Mal in Santiago ankamen, sprangen überall mir wildfremde Damen auf und begrüßten Thomas mit einer herzlichen Umarmung und freuten sich, dass er es auch geschafft hatte. Ich meine, mal davon abgesehen, dass ich mich wirklich gefragt habe, ob wir tatsächlich den gleichen Weg gegangen sind (ich hatte keine von ihnen vorher wissentlich gesehen!) - wenn wir durch Wiesental laufen, springt da niemand für uns auf!

 

So gestärkt ist das letzte Stück bis Rubiaes nur noch ein Katzensprung und weil wir eh so gemütlich drauf sind, hüpfen wir den gemeinsam. Dann müssen wir uns allerdings von Ken trennen, für den ja bereits irgendwo ein Zimmer reserviert ist, während wir uns in der Herberge anmelden ... und den armen Jungen an der Rezeption ein bisschen ins Schleudern bringen, weil Antoine und ich irgendwie unterwegs angefangen haben, uns wegen unserer Nationalität gegenseitig aufzuziehen. Während er den Hospitalero also auffordert, mich dusslige Deutsche doch bitte weiterzuschicken, schaue ich ihn ganz entsetzt an: Du akzeptierst nicht wirklich Franzosen in dieser Herberge, oder? - Er ist ein bisschen verunsichert, wir schimpfen noch ein bisschen miteinander, umarmen uns dann lachend und bitten um zwei Betten nebeneinander, die wir auch umgehend kriegen ... und sei es auch nur, damit der arme Kerl aus der Situation flüchten kann.

 

Beim Abendbrot im wohl einzigen Restaurant des Ortes treffen wir Ken wieder. Er begrüßt uns ... und setzt sich dann alleine an einen Nebentisch. Hä? Nee, ne? - Kinders, das geht gar nicht! - Also für mein Gefühl jedenfalls nicht. Eine Dame sieht das anders und ist ... ein wenig ... echauffiert über mich, weil ich, ohne am Tisch um Zustimmung zu fragen (auf die Idee wäre ich im Leben nicht gekommen, dass ich erst das Einverständnis brauche, wenn ich einen Pilger an einen Pilgertisch ... einlade!) zu ihm gehe, ihn frage, ob er auf jemanden wartet, und ihm auf seine Verneinung hin erst die Karte aus der Hand nehme und ihn dann am Ärmel an unseren Tisch zerre (ich kann wirklich charmant sein, wenn ich will - will ich aber eigentlich so gut wie nie!). Er blüht richtig auf und genießt es so offensichtlich und unverschämt, diese Mahlzeit nicht alleine einnehmen zu müssen, dass ich beschließe, dass es eigentlich völlig in Ordnung ist, wenn ich nicht charmant sein will. Oder: Das hab ich richtig gut gemacht! - Gut, die Dame und ich, wir werden auf diesem Weg keine Freundinnen mehr, aber wenn ich mich ein bisschen zurücklehne und gucke, wie viel Spaß alle haben - das ist wirklich ein Abend, der mir sehr wertvoll ist.