San Pedro de la Ramellosa - Chapela

Froh gemut verlassen Sandra und ich die Herberge gemeinsam, trennen uns aber dann schon bald. Sie ist ja nun ein gutes Stück jünger als ich und vor allem viel fitter. Um zusammen zu wandern, muss wirklich der Takt stimmen. Wenn einer sich an den anderen anpassen muss oder womöglich beide versuchen, sich dem anderen anzupassen, und sie sich irgendwo in der Mitte treffen, ist das zwar nett aber für mindestens einen furchtbar anstrengend. Jeder hat ja so seine Art zu gehen. Ich bin z. B. sehr langsam, brauche aber nur kurze Pausen, bleibe hier mal stehen und dort mal stehen, gucke und fotografiere - manchmal fotografiere ich auch nur, damit es nicht so auffällt, dass ich schnaufen muss. Dann wundere ich mich hinterher, wenn ich mir die Fotos angucke, selbst, was mich denn bitteschön geritten hat, das zu fotografieren.

 

Außerdem muss ich gestehen, dass ich sehr gerne alleine gehe. Für die meisten, die mich kennen, ist das schier unvorstellbar, aber ich halte mich ganz gut aus. Und nein, ich muss nicht immerzu quasseln, ich kann auch sehr gut ein Weilchen schweigen ... wenn dieses Weilchen nicht allzu lange dauert. Und ich liebe es einfach, Ruhe zu haben und meinen Gedanken nachzuhängen. Das ist total spannend! Ich bin ja nun mal ein Mensch, der einen Kopf der großen Sprünge hat, und darum überrasche ich mich immer wieder selbst, an was ich so alles denke und wie ich, wie man bei uns sagt, vom Küchle backen auf den Arschbacken komme. Wenn es mir zu langweilig wird, broddel ich halt ein bisschen vor mich hin oder fange an zu singen. Dann fallen mir die Zeltlagerlieder von vor gefühlten 30 Leben wieder ein und wenn ich mir ein bisschen Mühe gebe, kriege ich die Texte auch noch zusamen. Aber glaubt mir: Ich habe noch nie in meinem Leben jemanden außer mich getroffen, der sich das freiwillig anhört! Einmal, als ich im Wald zum Walken war, hat mich ein Herr angesprochen, ob ich das gewesen wäre, der da so fürchterlich gebrüllt hätte. In meinem Elan hatte ich vollkommen vergessen, dass dieses Waldstück relativ klein, dafür aber sehr viel belaufen ist. Ab da habe ich immer darauf geachtet, rechtzeitig mit meinem Gegröhle aufzuhören, wenn jemand in Hörweite kam. Und auf dem Camino Francés habe ich Franzosen, die mich immer wieder überholten und genau vor meinen Füßen wieder vor mir einscherten, so dass ich jedes Mal abbremsen musste (ab dem dritten Mal hat mich das tierisch genervt!), gnadenlos in die Flucht gesungen. Ich bin ihnen dann nie wieder begegnet. - Wenn ihr also einmal Franzosen trefft, die auf dem Camino waren und dort einer Deutsche mit unbeschreiblichen Gesangskünsten begegnet sind, dann wisst ihr, wen sie meinen.

An einer großen Straße sieht der Himmel nach Regen aus und ich setze meinen Rucksack ab, um meinen Regenüberzieher drüberzustülpen. Mit einem bisschen Hirn und Vernunft hätte ich das noch in der Herberge gemacht, allein es fehlt mir sowohl an dem einen als auch an dem anderen. Hinterher, als ich meinen Bauchfüßler schreibe, merke ich, dass es hier verschiedene Wegvarianten gibt. Als ich hier bin, sehe ich jedoch nur einen gelben Pfeil, der mich nach rechts an der Autostrada entlang schickt und die nach einem Weilchen ziemlich duster und grausig unterführt. Weil das aber ja nur kurz ist, ist das gar nicht wirklich schlimm, nicht schön, beklemmend, aber eben nur kurz. Dafür komme ich dann in ein Waldstück, das wirklich nur schön ist! Blöd ist nur, dass es dann eben doch anfängt zu regnen und zwar ziemlich heftig. Ich stelle mich unter einem Baum unter, aber der hält das Wasser eben auch nur bedingt von mir ab. Es dauert nicht lange, da kann ich nicht unter ihm auch nicht nasser werden, als ich schon bin, also stapfe ich weiter und passiere einen jungen Portugiesen, der schon in Mougás und Ramellosa in den gleichen Herbergen wie ich übernachtet hat. Er ist ein bisschen ein finsterer Typ, um den ich immer ein bisschen einen Bogen mache. Dementsprechend grüße ich ihn nur freundlich aber kurz und stapfe weiter.

 

Nicht lange später erreiche ich ein Industriegebiet mit ganz vielen sehr geraden Straßen und weil es hier keine Pfeile mehr gibt, verliere ich komplett die Orientierung. Als ich mich umgucke, entdecke ich hinter mir eben diesen Portugiesen wieder und denke, dass ich ja nicht sooo falsch sein kann, wenn er auch hier herumstupft. Dann denke ich, dass er vielleicht nur hier herumstupft, weil er nicht mehr weiß, wo es lang geht und er mir vertrauensvoll folgt. Ich bleibe stehen und warte auf ihn. Mir ist schon ein bisschen mulmig dabei und ich gucke mich um. Da ist weit und breit niemand zu sehen. Also muss ich mich einfach darauf verlassen, dass ich ja nun wirklich nicht zu der Art Frauen gehöre, für die ein Mann freiwillig gegen Recht und Gesetz verstößt. Und das ist eine guuute Idee: Er hat auf seinem Handy eine Karte und nach der sind wir viel zu weit rechts vom Weg. Und während wir so gemeinsam weitergehen, merke ich, dass er zwar finster ausschaut, aber ein ganz Lieber ist. Er erzählt mir ganz viel von sich und zwischendurch müssen wir so lachen, dass wir stehenbleiben müssen, weil lachen und laufen einfach nicht zusammen funktionieren. Weil er außer portugiesisch und spanisch nur ein ziemlich gebrochenes Englisch spricht, muss ich mich konzentrieren und ihm beim Sprechen am besten ins Gesicht gucken, damit ich alles verstehe. Es ist mir vorher nie aufgefallen, wie ausdrucksstark sein Gesicht ist! Ich habe noch nicht einmal eine Sekunde daran verschwendet, es zu bemerken, weil er für mich vom ersten Augenblick an einen Stempel aufgedrückt bekommen hat. Ach, wie bin ich doch offen und aufgeschlossen! - Ich könnte mich über mich selbst grausen!

 

So laufen wir ein gutes Stück gemeinsam - auch nachdem wir schon längst wieder die gelben Pfeile gefunden haben und ihnen folgen. Als er dann weiterzieht, er ist eben auch ein gutes Stück jünger und viel fitter als ich, bin ich richtig traurig darüber, denn ich bin mir sicher, dass wir uns nicht mehr treffen werden.

Bevor sich vor Vigo der Weg teilt und die grünen Pfeile zur Herberge nach Freixo abbiegen, ist der Weg einfach nur schön und führt mal durch Eukalyptuswälder, mal hat man einen freien und herrlichen Blick auf die Bucht, die zu den Rías Baixas gehört, und die vorgelagerten Islas Cíes. Noch bevor sich der Weg teilt und die grünen Pfeile Vigo über die Herberge in Freixo umgehen, treffe ich Sandra wieder. Wir beschließen, weiter den gelben Pfeilen zu folgen - was heute nicht unbedingt unsere beste Idee ist, denn bis Redondela gibt es nun keine Pilgerübernachtungsstätte mehr. Aber darüber machen wir uns gerade noch gar keine Gedanken. Es ist erst 12.30 Uhr und wir sind beide noch frisch - warum sollten wir uns also jetzt schon Gedanken machen, wo wir heute Nacht schlafen werden?

 

Was ich sehr angenehm finde, ist, dass der Camino nicht mitten in diese Metropole führt, sondern ein bisschen hintenherum durch die Brust ins Auge. Im Parque de Castrelos machen wir ein Päuschen und knabbern einen Apfel und ein paar Nüsschen. Nicht weit weiter können wir unser Proviant in einem Supermarkt mitten in einer Fußgängerzone auffüllen, durch die wir dann hinaufstapfen, und schon sind wir aus Vigo wieder hinaus.

Jetzt mal ganz im Ernst: Vigo ist in seiner Geschichte nicht gut weggekommen und hat wahrscheinlich außer dem Pferdebrunnen, an dem ich dreimal mit dem Bus vorbeigekommen bin, nicht viel zu bieten - schon gar nichts Altes, weil hier die Steine nie so lange aufeinander standen, dass da etwas Altes hat entstehen können. Alles Wissenswerte ist in einem kurzen Satz gesagt: Vigo ist die größte Stadt Galiciens.

 

Beim Verlassen des Stadtgebietes müssen wir ein Stückchen unter einer Autobahn entlang, wo wir ein Restaurant finden, das wohl richtig gut sein muss - was ich allerdings nicht wirklich ausprobiere, weil wir ja nur ein Päuschen machen und etwas trinken wollen und das Essen beim Weitergehen so in meinem Bauch herumschwabbeln würde. Jedenfalls kommen einige Einheimische zum Essen. Ein bisschen komisch ist uns beiden Gutdeutschen nur, dass man auf dem Weg zur Toilette quasi durch die Küche muss, aber weil wir hier die einzigen Ausländer sind, sind wir auch die Einzigen, denen das auffällt.

 

Noch ein Stückchen weiter kommen wir auf eine Art Höhenweg, der uns immer ein ganzes Stück weit oben am Hang an der Bucht entlang führt und, wenn wir nicht gerade ein Waldstück passieren, einen tollen Weitblick für uns hat. Allerdings rächt es sich jetzt langsam, dass wir uns nicht früher Gedanken über unser nächstes Bett gemacht haben. Langsam wird der Tag lang und die Beine schwer. Joa, eine Herberge wäre jetzt langsam aber sicher nicht gerade das Schlechteste, allein es gibt keine. Langsam merke ich in mir eine leichte Knurrigkeit aufsteigen. Kennt ihr das, so ein erwachender Unmut, wenn man müde wird, wenn man unsicher wird, weil man nicht weiß, wo man heute schlafen wird. In Gedanken sehe ich uns schon unter dem freien Sternenhimmel schnurcheln - auch mal nett ... aber hey, ich stinke und mir lechzt nach einer Dusche! - Ich kann euch gar nicht sagen, wie dankbar ich bin, dass Sandra bei mir ist. Sie ist so gut gelaunt, so positiv, so lustig, da habe ich gar keine Chance, mit meiner Schruddeligkeit gegen anzustinken! Sie grinst einfach meinen Unwillen weg und ich bin ihr unendlich dankbar dafür. Weil mal im Ernst: Bis auf das, dass ich mir selbst mit meiner schlechten Stimmung den Tag verderben würde, würde sie mir doch nichts, aber auch rein gar nichts bringen! Ich habe noch nie davon gehört, dass es jemand geschafft hätte, eine Herberge herbeizuschimpfen (gut, gestern das mit Telmo und dem Wasser auf der Gebärmutter ... Aber das war im Mittelalter!).

 

Es begegnen uns nicht viele Menschen, aber wenn doch, fragen wir sie nach einem Hotel, woraufhin wir erst einmal eine ganze Weile nur Schulterzucken ernten und ganz viele spanische Worte, die wir beide nicht verstehen und einstimmig so deuten, dass sie sich nicht nach einer Wegbeschreibung angehört haben. Dann kriegen wir aber heraus, dass sich wohl in Chapela, also links unter uns, eine Pension befinden soll. Ich guckel ein bisschen mit meinem Handy, dann beschließen wir, in den Ort hinabzusteigen und dort unser Glück zu versuchen - eine guuute Idee, auch wenn das heißt, dass wir morgen wieder auf den Höhenweg hinaufsteigen müssen, denn wir finden schon bald ein Schild mit einem Bett drauf. Jajajaaaa!!! Der Wirt nennt 24,-- Euro und ich denke noch, dass mir ein Bett im Moment gut auch das Doppelte wert wäre. Allerdings bezieht sich der Preis auf das ganze Zimmer, also uns beide zusammen. Meine Lieben, wann habt ihr das letzte Mal in einer Pension für 12,-- Euro pro Nase übernachtet? Und hattet ihr dort auch ein Doppelbett, ein überbreites Bett und ein normales Bett zur Auswahl? - In diesem Zimmer könnte man gut zu fünft unterkommen!

 

Nach dem Duschen müssen wir uns freilich auf Nahrungssuche begeben, was dann wieder nicht ganz so leicht ist. In der Pension gibt es zwar auch eine Bar, die aber wohl auf Küche nicht ausgelegt ist und eh gleich geschlossen werden soll. Hilfsbereit erklären uns der Wirt und ein Gast alle möglichen Wege zu allen möglichen Restaurants in allen möglichen Geschmacksrichtungen, die auch gar nicht so weit weg sind ... wenn man ein Auto hat. Zu Fuß hört sich das alles schon wieder ganz anders an! Also machen wir uns auf eigene Faust und gut Glück auf den Weg und finden auch eine Bar mit Essen - nicht gerade ein kulinarischer Höhenflug, aber es macht satt und ist spaßig, denn, obwohl gerade im Fernsehen ein Spanienspiel der Fußball-EM übertragen wird, konzentriert sich alle Aufmerksamkeit - auch und vor allem die der Jungs! - beim Eintreten eines fliegenden Schuhhändlers sofort auf seine Ware. Kinders!, da sag mal einer, Mädels würden bei Schuhen selbst die geliebte Großmutter vergessen - Jungs sind da noch viel schlimmer!

 

Und was ich total lieb finde: Nach dem Essen bringt uns der junge Wirt ein großes Glas Kaffee-Orujo und erklärt uns ganz stolz, dass wir das unbedingt probieren müssten, eine galizische Spezialität. Ich kenne nur die Kräutervariante Hierbas, aber dieser Likör ist - hmmmmmschlabberschlabber - auch lecker, besonders nach so einem langen Tag!