Chapela - Pontevedra

Hach, wie haben wir gut geschlafen in unserem Riesenzimmer - alos ich zumindest. Weil ich ja seit letztem Jahr weiß, dass ich schnarche, würde ich jetzt für Sandras Schlaf nicht unbedingt meine Hand ins Feuer legen wollen. Aber nun gut, sie erträgt mich ja nun schon seit Mougás und ist ja schon einiges von mir gewohnt. Jedenfalls fällt mir der Weg, so frisch gestärkt, wie ich bin, hinauf zum Camino, der gaaaanz da oben am Hügel entlangführt, gar nicht mehr so schwer und erst mal oben, geht es nach einem Weilchen ja auch nur noch abwärts nach Redondela, das ich ja schon kenne. Entsprechend zielstrebig steuere ich auf eine Bar zu und frühstücke. Ach ich liebe das: Milchkaffee, Croissant, die Schuhe ausziehen und einfach nur den Moment genießen. Ich glaube, das ist eines der Dinge, warum ich immer wieder unterwegs bin: Ich kann im Augenblick sein, muss nicht daran denken, dass ich noch dies und das zu erledigen habe, was ich koche, dass die Bügelwäsche auf mich wartet und ich schon seit drei Tagen meine Mails nicht mehr gecheckt habe und jetzt bestimmt jemand unwirsch mit mir ist, weil er noch immer keine Antwort gekriegt hat. Das brauche ich hier alles nicht. Kurz vor dem Ort habe ich Sandra aus den Augen verloren, aber sie findet mich und wir haben uns als Ziel Pontevedra gesetzt - das ist alles, was meinen Kopf hier beschäftigt.

Als wir aus Redondela hinausmarschieren begleitet uns ein Pilger, der seinen Camino auf eine ganz eigene Weise macht, nämlich mit einem Skateboard! Das habe ich vorher auch noch nie gesehen! Zum Abstoßen hat er noch einen Stock mit Gummipömpel am Ende und auf dem Kopf trägt er sogar einen Sturzhelm - er hat sich also durchaus Gedanken gemacht, bevor er sich auf Rollen auf den Weg gemacht hat. Ich finde das klasse!

Ich bin ja nun auch ein bisschen in Internetforen unterwegs und manchmal ehrlich gesagt ein bisschen verdrossen, weil dort einfach das auf der Strecke bleibt, was für mich Camino ausmacht: Jeder geht SEINEN Weg und zwar bitte so, wie es für IHN richtig ist. Jeder nimmt sich für sich dieses Recht heraus ..., vergisst aber nur zu schnell und zu oft, dieses Recht auch anderen zuzugestehen. Hand aufs Herz: Camino ist eben auch ein bisschen wie normales Leben, auch dort gibt es Menschen, die denken, dass ihre Meinung das einzige Salz ist, das die Suppe würzen darf. - Ich mag das nicht so gerne, ich mag auch den Geschmack von Sellerie, Petersilie, Möhren, Lauch, mag die Schärfe von Pfeffer und Paprika, mag die Säure von einem Spritzer Zitrone und gebe nur zu gern noch einen kleinen Klecks Honig dazu, damit es nicht so geradeaus schmeckt, sondern die Geschmacksknospen einen kleinen Umweg machen und noch mehr zu tun haben. Ich für mich nehme mir nicht das Recht heraus, über andere und ihren Camino zu urteilen. Umgekehrt höre ich mir gerne jeden Ratschlag, jeden Tipp an, entscheide hinterher aber bitte ganz für mich, was für mich passt und was nicht - und genau dieses Recht gestehe ich, weil ich es für mich in Anspruch nehme, auch jedem anderen zu.

Und jetzt gerade bin ich mir mal eben ganz kurz selbst dankbar für diese meine Einstellung, denn so kann ich mich ganz unvoreingenommen über diesen jungen Mann mit seinem Skateboard freuen und atme schier seine Unmenge an Lebensfreude, mit der er um sich wirft, ein bisschen ein. - Seht ihr, Kinders, wenn man ohne zu werten einfach nur etwas zulassen kann, kann man so viel wertvolles für sich daraus mitnehmen!

 

Irgendwo unterwegs gerate ich in eine Demonstration mitten in der Pampa auf einer Landstraße! Erst denke ich noch, dass ich womöglich Wahnvorstellungen habe, aber dann kommt die Fata Morgana immer näher, schwenkt mit roten Fahnen, macht artig einen großen Bogen um mich herum und jeder einzelne grüßt mich freundlich! - Nee, ne? Ist das lustig!

 

Und das hier möchte ich euch noch schnell zeigen. Das stand nämlich auch irgendwo unterwegs und hat mir sooo gut gefallen! Solche "kleinen" Kunstwerke liebe ich einfach, denn sie machen immer so ein warmes Schöndassdudabistgefühl im Bauch.

 

Ab Arcade wird der Weg richtig fein, besonders ein Stück, das zwar ein bisschen stramm, aber total schön durch den Wald führt. Ganz ehrlich? - Das ist das, was mir auf dem gesamten Camino Portugues ein bisschen fehlt, solche Naturwege! Gut, auf dem Camino Primitivo waren sie manchmal schon ... ziemlich natürlich - besonders nach Regen. Heideröslein! Aber das ist genau das, was ich liebe!

Aber ich will ja nicht meckern, weil dieser Camino hat einfach einen anderen Charme, ein bisschen kopfsteinpflasterlastig, aber eben doch Charme.

Auf dem Weg hinauf überhole ich ein junges Pärchen, das ganz in ein Gespräch vertieft ist. Ich komme mir immer ein bisschen komisch vor, wenn ich solchen Gesprächen zu nahe komme, so ein bisschen, wie der Lauscher an der Wand. Darum achte ich nicht weiter auf sie und ziehe so schnell wie möglich an ihnen vorbei, was jetzt nicht besonders schwer ist, weil sie sehr, sehr langsam gehen. Als ich ein bisschen später ein Zigarettenpäuschen mache, passieren sie mich wieder und ich denke, dass er aber nicht gut aussieht beim Laufen. Wieder ein bisschen später finde ich ihn, wie er an einem Brunnen liegt und alle Viere von sich gestreckt hat. Ich frage, ob denn alles gut mit ihm ist, aber als ich ihm ins Gesicht schaue, braucht er mir gar nicht mehr zu antworten. Er hat große Probleme mit dem Bein, braucht jetzt eine Pause und versucht es dann, wenigstens bis zur nächsten Herberge zu kommen. Hm. Ich lasse ihm ein paar Ibuprofen da, aber wenn so ein junger, dynamischer Hüpfer so dreinschaut, fürchte ich, dass die ihm nicht wirklich viel bringen werden. Nur mehr machen kann ich leider nicht für ihn, das wissen wir beide und er bedankt sich und versichert mir, dass ich ruhig weitergehen kann. Das tu ich auch, aber wohl fühle ich mich nicht damit.

Dafür fängt ab der Chapela de Santa Marta, in der es einen Stempel gibt, der Weg richtig an sich zu ziehen, wie eine ganze LKW-Ladung ausgeschmatzelter Kaugummis. Bei mir geht es noch, weil ich so gespannt auf Pontevedra bin und froh, dass ich mich heute ein bisschen bei Sandra für ihren Humor und ihre gute Laune gestern ein bisschen revanchieren kann. Nein, so schön mit strahlenden Augen und einem Lachen wie sie gestern kann ich das nun auch wieder nicht und wenn sie sich nicht mitziehen lassen würde, würde ich ziemlich dämlich und alt aussehen. Ich weiß auch nicht wirklich, ob alles so sinnvoll ist, was ich da von mir gebe. Als ich sage, dass wir das letzte Stückchen jetzt auch noch schaffen, und eine halbe Stunde später immer noch kein Ende in Sicht ist, hab ich da doch so meine Zweifel an der Sinnigkeit meiner Worte, aber wie auch immer: Am Ende laufen wir sogar an der ersten, der öffentlichen Herberge in Pontevedra vorbei ..., sind aber auch nicht unfroh, als wir ziemlich gleich danach die private Herberge erreichen. Und dann bin ich erst einmal ... fertig mit der Welt. Als uns zwei Mädels fragen, ob wir uns nicht eine Waschmaschine teilen wollen, klinke ich mich erst einmal komplett aus und schleppe mich in die Bar. Ich habe effektiv zu wenig getrunken und das rächt sich gerade. Ich brauche Flüssigkeit, Kohlensäure, Zucker und Koffein! Und zwar sofort und am liebsten eimerweise!

Etwas später habe ich mich wieder soweit eingefangen, gehe duschen und lege meine Wäsche dann doch zu der von Sandra und den Mädels - eine nur sehr bedingt gute Idee, weil wir offensichtlich irgendetwas beim Waschen nicht richtig gemacht haben. Jedenfalls sind die Kleider laufnass und total verschwärzt, als wir sie später wieder herausholen. Mir gruselt noch die ganzen nächsten Tage ein bisschen vor ihnen, wenn ich sie anziehe ... und ein bisschen jetzt auch noch, wenn ich daran denke. Aber ich muss sagen: Mein Handtuch habe ich immernoch und liebe die schwarzen Flecken auf ihm!

 

Etwas, was mich immer selbst ein bisschen zum Staunen bringt, ist, wie schnell sich mein Körper regeneriert. Ich weiß noch letztes Jahr, als ich in Lugo in die Herberge kam und Thomas mich direkt ansprach, hab ich nur abwehrend meine Hand gehoben und gesagt: "Sprich mich nicht an, ich bin nur Schmerz!" - Eine Dusche und zehn Minuten auf der Matratze später war ich wieder fit. Und das geht mir ganz oft so, wenn ich ankomme: Ich muss mich wirklich selbst in den Hintern treten, um mich zur Dusche zu schleppen, und auch beim Thema Wäsche lasse ich keine blöde Ausrede von mir zu, bevor ich mir zugestehe mich hinzulegen, aber dann wird mir schon ganz bald wieder langweilig beim Liegen und ich stehe auf und bin wieder relativ fit.

 

So geht es mir hier auch. Obendrein bin ich total gespannt auf die Stadt. Ich habe ja, wie ich das immer mache, im Vorfeld ganz viel recherchiert und Pontevedra ist mit seiner Verbundenheit zur Jakobuspilgerschaft schon ein bisschen ein besonders hell scheinendes Glitzerchen auf dem Sternenfeld - schon alleine die Kirche mit ihrer Muschelform und der Virgen Pelegrina, der Muttergottes als Pilgerin. Ich weiß, dass die Kirchen morgens meistens noch geschlossen sind, wenn man aufbricht, darum hänge ich heute noch einmal den runden Kilometer dran und stapfe in die Stadt, um sie mir anzusehen. Sandra begleitet mich bis zum nächsten Supermarkt, aber weiter mag sie nicht mehr ... und ich kann es ihr nicht verdenken.

An der Kirche ist eine Kundgebung mit viel Rummel und noch mehr Menschen, aber in ihr drin ist es sehr ruhig und ich bin wirklich beeindruckt, weil alles an ihr sich an mich als Pilgerlein wendet: Überall sind Muscheln und gekreuzte Wanderstöcke.

Wenn ich schon mal noch so weit gegangen bin, schaue ich mir auch den Rest der Stadt noch ganz in Ruhe an, den Loro Ravachol (eine Statue, die man dem Papageien eines Apothekers setzte, weil der eine besondere Marke war; die Pontevedraner beenden ihren Fasching auch nicht wie der Rest von Spanien mit der Beerdigung einer Sardine, sondern mit der des Vogels), die Praza de Ourense mit dem Pilgerbrunnen Ferreira, die Klosterkirche San Francisco ... An der Praza da Lena, dem alten Holzmarkt, esse ich eine Kleinigkeit, dann mache ich mich auf den Rückweg und hau mir unterwegs selbst einmal gegen die Stirn, ob ich den noch ganz gescheit bin, weil ich ja nun wieder den ganzen Kilometer zurück muss.

 

Und dann überkommt mich Abschiedstimmung. Sandra wird morgen auf dem "normalen" Camino weitergehen, während ich auf den Camino Espirtual umschwenke. Das heißt, morgen trennen sich unsere Wege. Das macht mich schon ein bisschen traurig, denn ich habe sie in diesen Tag echt liebgewonnen. Aber ich bin auch neugierig auf den Weg, der ja noch nicht wirklich bekannt ist und von dem ich von Freunden weiß, dass er total klasse sein soll.

 

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