Camino Espirtual: Pontevedra - Armenteira

Also, wenn man das Gewusel im Kopf hat, das gestern in dieser Stadt herrschte, ist es kaum zu glauben, dass es heute so leer, still, aufgeräumt und ruhig ist. Da muss ich jetzt mal kurz etwas loswerden, weil das ist etwas, was für mich so typisch und bezeichnend für Spanien ist: Da ist ein Riesenrummel, die ganze Nacht hindurch wird gefeiert, getrunken und jede Menge Müll verursacht, da steppt um 6.00 Uhr morgens noch der Bär ... aber um 6.01 Uhr kommen die Reinigungswagen, spritzen die Straßen ab und machen alles wieder so sauber, dass man schier von der Straße essen könnte und die Männer mit den Schläuchen und Besen grüßen freundlich die, die nun doch endlich nach Hause torkeln. Der Hammer!

 

Jedenfalls sieht die Stadt heute morgen ganz anders aus als gestern. Die Kirche ist allerdings tatsächlich noch verschlossen und ich bin nun doch wieder froh, dass ich sie mir gestern noch angesehen habe.

 

Über den Camino Espiritual kriegt man übrigens in beiden Herbergen einen Flyer, der ihn ziemlich genau umreißt. Weil ich ja immer alles besser weiß, daheim ja recherchiert hatte und mir eine Route ausgeguckt hatte, die schon gleich in Pontevedra über eine andere Brücke führt, gucke ich mir den allerdings erst an, als ich schon ein Weilchen falsch gegangen bin und auf einer Straße lande, auf der ich nun wirklich nicht herumstapfen mag. Also kehrt schwenk Marsch wieder zurück - wer nicht hören will, muss eben ... Ach, ich bin aber manchmal auch echt ein unvernünftiges Hirni!

  

 

Tatsächlich muss man die ersten Kilometer dem "normalen" Camino folgen und passiert dabei ein Tor mit einem wirklich ganz besonders schönem Kreuz auf der linken Seite. Für alle, die hier gehen wollen, also der unbedingte Hinweis: Guckt mal nach links! - Ich denke, auch die, die mich nicht kennen, haben im Laufe dieses Blogs gemerkt, dass ich nicht von der Sorte Mensch bin, die den ganzen Tag mit der Bibel unter dem Arm herumläuft. Aber ich lasse kein Kirchlein aus, das mir seine Pforten öffnet, bleibe vor ganz vielen Bildstöcken stehen und liebe Wegkreuze. Ich finde - nicht bei allen, aber bei ganz vielen -, sie haben etwas ganz Besonderes, dieser Glauben der Menschen, von denen und für die sie gebaut wurden, dieses Vertrauen in Gott, dieses Urvertrauen ins Leben und in eine Kraft, die über allem steht, sind manchmal so ... spürbar, dass es mir echt zu Herzen geht, und dieses Kreuz steht auf diesem Weg für mich unter den top ten der schönsten und berührendsten Kreuze.

 

Ein Stück weiter teilt sich der Weg und während alle anderen nach rechts weitermarschieren, schwenke ich nach links ab. Ich gucke mich noch einige Male um, aber ich bin wirklich weit und breit die Einzige, die hier entlangstapft. Hm. Wenn ich jetzt behaupten würde, dass es mir nicht ein bisschen mulmig ist im Bauch, würde ich glatt lügen und lügen darf man nicht auf dem Jakobsweg. Also hülle ich mein unwohles Gefühl in Schweigen; ich muss ja nicht alles preisgeben.

 

Bis zum Monasterio Poio, einem wunderschönen alten Kloster (wenn ihr diesen Weg gehen wollt, beachtet bitte unbedingt den riesigen Hórreo noch vor der Kirche links hinter einem Tor!), das bis zur Desarmortisation (Verstaatlichung) von Benediktinern und dann von Mercedariern bewohnt wurde (das waren, einfach ausgedrückt, Augustiner mit dem zusätzlichen Gelübde, christliche Sklaven notfalls auch unter Einsatz der eigenen Freiheit zu befreien), verläuft der Weg ziemlich abwechslungsreich mal auf Straßen, mal auf Naturwegen durch Wälder und übermannshohen Farn und mal an einer Kirche vorbei, deren Glocke just anfängt zu schlagen, als ich sie betrete. Gutes timing! Das Kloster gefällt mir richtig gut. Jakobus begrüßt mich nicht nur schon von der Fassade aus, sondern ist auch Teil des deckenhohen und sehr goldenen Hauptaltars. Gut, zum Hinsetzen und Andächtigsein ist mit all den fotografierenden und guckenden Menschen runherum nicht genug Ruhe, aber das liegt ja nicht an der Kirche ... auch nicht an den Besuchern, sondern ganz alleine an mir. Als ich ankam, saßen draußen noch zwei junge Mädels mit Rucksäcken und ich hatte mich so gefreut, dass ich nicht die Einzige bin. Aber als ich sie erwartungsvoll anlächelte, haben sie mich keines Blickes gewürdigt. Jetzt fühle ich mich fast noch ein bisschen einsamer als vorher und mit meiner dicken Kiepe eh ein bisschen deplatziert zwischen all den Sonntagsmenschen. Hm.

 

Trotzdem bin ich von diesem Kloster so begeistert, dass ich nur zu gerne von hier einen Stempel haben würde, also hole ich tief Luft und schleiche in das linke Nebengebäude. Die Türe ist offen, also darf man auch eintreten. In einem Raum unterhalten sich gerade eine Dame und ein Herr, die mich erst ein bisschen erstaunt angucken. Meine Bitte um einen Stempel erregt erst Heiterkeit, wird aber umgehend erfüllt. Ist das lieb! Das baut mich wieder ein bisschen auf.

 

Ein Stück weiter begegne ich den beiden Mädels noch einmal in einem Park direkt am Meer. Sie weisen mich darauf hin, dass ich nicht den rechten, sondern den linken der beiden Wege durch die schmale Anlage nehmen muss. Gut, es bleibt sich zwar gehoppst wie gedoppst, aber ich bedanke mich und gehe halt die fünf Meter anders. Zumindest haben sie mich wahrgenommen und vielleicht war ich ja auch vorhin nur ein bisschen übereifrig. Zumindest bin ich nicht ganz alleine hier unterwegs. Oder vielleicht doch? Jedenfalls begegne ich den beiden nicht noch einmal.

 

In Combarro mache ich noch einmal Rast, was eine wirklich gute Idee von mir ist, denn ab da kommt bis nach Armenteira nix mehr ... außer einem Weg, der schier endlos immer sacht aber so was von ausdauernd bergauf führt, dass er mich zwischendurch richtig ankrüddelt. Schön ist aber, dass er nach einer Weile von der Straße abbiegt und ganz lange auf Forstwegen verläuft. Als mich die Lust so völlig verlässt, verlasse ich ihn auch, also den Weg, zumindest um die nächste Ecke herum, finde ein schönes Plätzchen und halte Siesta.

In Armenteira halte ich erst einmal in einer Bar an und trinke eine Tasse Kaffee, bevor ich zur Herberge gehe. Die ist zu und es gibt nirgends einen Hinweis auf eine Telefonnummer. Hm. ... Braucht es auch nicht, denn ich brauche nicht lange zu warten, da kommt ein Auto mit der Hospitalera, die mich einlässt. Ich dusche, hänge meine Wäsche auf und schlendere zurück zum Kloster. An der Information steht ein junges Mädel. Nein, wann morgen das Boot von Villanueva nach Pontecesures fährt, weiß sie auch nicht, aber findet es gleich mit einem Telefonanruf für mich heraus. Um 14.00 Uhr soll es wohl abfahren - ich denke, dass kann ich schaffen.

 

Nachdem ich gegessen habe, suche ich den Mitpilger, von dem mir die Hospitalera gesagt hat, dass er einen Schlüssel hat. Dass ich den eigentlich nicht brauche, sehe ich erst, als ich zur Herberge zurückkomme, denn sie ist offen und es sind einige Pilger da, auch die Gruppe junger Leute, die ich schon aus Mougas und San Pedro de Ramallosa kenne. Sie sind gerade frisch und fertig und wollen zum Essen. Damit sie, wenn sie vielleicht erst wieder zurückkommen, wenn alle anderen schlafen, hereinkönnen, gebe ich ihnen meinen Schlüssel. Ich unterhalte mich noch ein bisschen hier und da, aber insgesamt bin ich ziemlich müde und ziehe mich bald in meinen Schlafsack zurück.

 

Und dann wird es richtig ein bisschen spooky: Irgendwann werde ich von merkwürdigen Geräuschen geweckt. Ein bisschen schlaftrunken versuche ich, sie nach irgendwohin einzuordnen. Das dauert ein Weilchen. Dann begreife ich, dass jemand an die Tür hämmert. Ich bleibe noch liegen und denke, dass ich ja bestimmt nicht die Einzige bin, die es gehört hat. Bin ich aber. Alle anderen schlafen tief und fest, also stehe ich auf und will die Tür öffnen. Das könnte so einfach sein!, ist es aber nicht, denn die ist verschlossen. Ich weiß, dass eine Dame den zweiten Schlüssel hat und will in ihr Zimmer gehen, aber das ist ebenfalls verschlossen. Hm. Wie kommt man denn auf die Idee, in einer Herberge die Schlafzimmertüre abzusperren? Ich rüttel immer und immer wieder an der Klinke, aber es tut sich nichts. Derweil hämmert es weiter an der Tür, was außer mir niemanden stört. Schließlich gehe ich ins Badezimmer und mache da das Fenster auf, damit der Hämmerer eben so hereinkommt. Er ist drin und alles könnte gut sein ... wenn da nicht mein Kopf wäre, der anfängt auf Hochtouren zu arbeiten: Was ist, wenn jetzt etwas ist? Der Fluchtweg ist abgeschlossen. Und was mache ich morgen früh? Ich will ja zeitig los, aber wie bitteschön komme ich hier raus? Und wie war das eigentlich sonst in den anderen Herbergen? Waren die auch abgeschlossen? Wenn etwas passiert, wie kommt man dann aus dem Gebäude? - Darüber habe ich mir noch nie Gedanken gemacht, also habe ich jetzt einiges aufzuholen.