Pontevedra - Caldas de Reis

Ich habe mich gestern für das Bett ganz vorne an der Tür entschieden, weil ich mich doch ein bisschen gegruselt habe so allein in dem Riesenraum. Und ganz in echt? - Der Busschlaf hat mich auf gar keinen Fall wieder fit gemacht. Irgendwie fühle ich mich total malad und ... ausgefressen. Mir war auch so gar nicht nach einem Gespräch mit anderen Pilgern. Die kennen sich ja alle schon und ich bin als Querankommende ein Neuling - irgendwie scheint das auf diesem Camino mein Schicksal zu sein. Aber damit komme ich gut zurecht und leg mich früh schlafen. Morgen sieht die Welt wieder anders aus.

 

Zwischen jetzt und morgen liegt allerdings eine Nacht und so schön sie für mich angefangen hat - zwischendurch muss ich echt schlucken, um nichts zu sagen, was mir eh nix bringen würde außer dem dämlichen Gefühl im Bauch, wenn man sich vergeblich gegen etwas wehrt und dann nur noch mehr ärgert, dass es da ist, weil man sich ja versucht hat zu wehren, was so gar nix brachte - Wisst ihr, was ich meine? Jedenfalls haben die Hospitaleros wohl kaum die Albergue verlassen, als mein Schlaf unterbrochen wurde: Meine Gedanken mit dem Bettenhopping müssen sich nach nebenan übertragen und ins Spanische übersetzt haben, jedenfalls wurde es zwei Herren dort offensichtlich zu ungemütlich und sie zogen um. Das wäre für mich auch ganz bestimmt kein Thema gewesen. Ich fühlte mich ja schon selbst ein bisschen sehr unverschämt, dass ich ganz alleine in diesem Riesenzimmer lag. Und ich bin mir auch durchaus bewusst, dass ich auf absolut schwindelhohem Niveau zetere, aber sie hätten sich doch zumindest die Mühe machen können so zu tun, als ob sie auf mich Rücksicht nehmen würden. Taten sie aber nicht. Fragt nicht nach Sonnenschein! Die Türe wird bald heiser vor lauter knallen und dass man für die wenigen Dinge, die man in einem Rücksack bei sich haben kann, unzählige Male hin- und herlaufen muss .... Dabei muss alles kommentiert werden und wenn ich die Dinge, die bei ihnen lautes Gelächter hervorrufen, zumindest verstanden hätte, hätte ich doch wenigstens mit ihnen grinsen können. Das hätte mir die Unruhe bestimmt leichter gemacht. So aber blieb mir nichts übrig, als mich noch einmal in Geduld zu üben. Nun denn, Pilgern ist halt manchmal kein Wunschkonzert, sondern

Soisses.

 

Aber wenn ich ganz ehrlich bin: Die beiden hätten mich ganz sicher nicht so genervt, wenn ich nicht solches Heimweh hätte und eigentlich längst nicht mehr wirklich gerne auf dem Weg wäre. Ich möchte nach Hause! Natürlich freue ich mich noch auf Padrón und Santiago, aber mein Bauch ist doch ziemlich schwer.

 

Und etwas Gutes hatte das Ganze dann ja auch doch: Heute morgen sind die beiden nämlich genauso lautstark aufgestanden, wie sie gestern zu Bett gegangen sind. Damit war die Nacht zwar sehr früh zu Ende, der Tag dafür aber umso länger. Nun denn: Schöngucken und schönreden macht schön!

 

Also stapfe ich sehr zeitig einmal mehr durch Pontevedra und fühle mich ein bisschen ... ach ja, wie bestellt und nicht abgeholt. Ich kenne die ersten Kilometer ja schon, das ist gut, da kann ich meinen Kopf einfach nur auf den Schultern tragen, damit der Hals nicht allzu überflüssig aus ihnen heraussteht.

 

Unterwegs kehre ich in einer Bar ein, stelle mich zur Toilette an und denke noch, dass ich gerade fast ein bisschen neidisch auf die drei Damen vor mir bin, weil die sich so gar nicht loslassen wollen. Wie schön! Ich kann es zwar ganz gut mit mir alleine aushalten, aber wenn man dann so viel Vertrautheit sieht, so viel Herzlichkeit, so ein schönes Miteinander ... Und dann muss ich ganz arg schlucken. Nein, falsch gedacht, die haben sich nicht einfach nur sehr gerne, sondern zwei Damen halten die Dritte, die alleine nicht stehen kann. Es ist eine ganze Gruppe junger Menschen, die mit zwei spastisch Gelähmten Menschen, einem jungen Mädchen von vielleicht 12 oder 13 und eben dieser Dame, unterwegs ist. Später beobachte ich sie beim Aufbruch: Sie haben zwei Zieh-Schieb-Wagen, vorne steigt jeweils eine junge Frau ins Geschirr und hinten übernimmt ein Mann. Ich denke, dass er Unebenheiten ausbalancieren muss, während vorne ja "nur" gezogen wird. So, meine Lieben, da sitze ich dann da, ich Großkotz, die sich darüber ereifert, dass sie um ein paar Minuten Schlaf gebracht worden ist, werde ganz klein und würde mich am liebsten vor mir selbst in einem Mauseloch verkriechen.

 

Kurz vor Caldas de Reis treffe ich in einer Bar, die zu einer Herberge gehört, Schokje aus Holland und ... ich bin mir nicht mehr sicher, darum nenne ich sie jetzt einfach Julia aus Deutschland. Sie haben beschlossen, hier zu bleiben, und weil wir sehr entspannt zusammensitzen und uns auf Anhieb klasse verstehen, bin ich ein bisschen hin- und hergerissen zwischen auch bleiben und weitergehen. Die Albergue sieht richtig nett aus und hat sogar einen kleinen Pool. Aber sie hat einen großen Nachteil: Hier fehlen die gelben Pfeile! Das ist nicht gut, damit nimmt man den armen Pilgern jede Orientierungshilfe und macht sie völlig kirre und hilflos! Tatsächlich wollen alle eine Treppe hinaufsteigen, nur weil die da halt gerade ist, obwohl sich die Bar unten befindet. Ihnen die richtige Richtung zuzurufen bringt sie auch noch aus dem letzten bisschen Konzept und sie gucken uns regelmäßig erst einmal völlig irritiert an, bis sie sich wieder geordnet und gesammelt haben. Kinders, das sieht so lustig aus!

 

Es fällt mir ganz schön schwer, mich von ihnen loszureißen, denn die beiden sind so herzlich und lieb und von so einer vertrauten Offenheit, dass ich ganz schön mit mir kämpfen muss, aber dann setze ich mir doch den Rucksack wieder auf und gehe weiter nach Caldas de Reis.

 

Die Herberge liegt direkt am Fluss und ist nicht so heimelig wie die, in der Schokje und Julia geblieben sind, aber das ist gar nicht schlimm, denn hier treffe ich Antonio, einen Spanier, der eine große Geschichte hat: Er hat als einziger ein Schiffsunglück überlebt und geschworen, dass er, wenn er überlebt, Pilger wird. Er hat sein Versprechen gehalten, wurde einmal sogar vom Papst empfangen, lebt aber seither von der Hand in den Mund. - Irgendwie ist heute wohl mein Tag der Demut, denn ich frage mich, wie man sich wohl fühlen mag, wenn man mutterseelenallein im Meer herumdümpelt und davon ausgehen muss, dass einem das letzte Stündlein geschlagen hat. Auch wenn er ein wenig abgerissen aussieht, komme ich mir neben ihm vor, wie ein ganz kleines, undbedeutendes Etwas.