Padrón - Santiago

 

Ich war heute Nacht so aufgeregt, dass ich kaum schlafen konnte. Ich glaube, es ist völlig egal, wie oft ich in Santiago ankomme - es geht mir jedes Mal aufs Neue unter die Haut. Es ist aber auch komisch: Da habe ich mich so lange auf meinen Camino gefreut, bin wochenlang auf meinen Ätsch-ätsch-Füßen in Portugal und Spanien herumgewatschelt, hab kaum einen Meter zwischen Porto und Santiago ausgelassen, hab geschwitzt, gefroren, geschimpft, geflucht, gelacht, innegehalten, genossen ... und dann soll - schwups - plötzlich alles zu Ende sein? - Nee, ne! - Und gleichzeitig ruft alles in mir: Ja!, ich WILL nach Hause - in MEIN Bett, unter MEINE Dusche, auf MEINE Toilette, zu MEINEN Leben und IN mein Leben!

 

Sonst gehen mir die Wecker in den Herbergen ja auf den Wecker, aber heute bin ich richtig froh, als sie endlich alle möglichen Laute von sich geben, denn das heißt, ich kann endlich aufstehen, ohne andere beim Schlafen zu stören. Ein Hüpf und ich bin raus aus dem Bett, habe meine Hackesjen gebürstet, meine Sachen gepackt und bin um kurz nach 6.00 Uhr! (ich trau es mich gar nicht laut zu sagen) auf der Straße und ruckzuck aus Padrón hinaus, weil wenn ich mich jetzt nicht sofort und ganz viel bewege, platze ich!

 

Ich mache auch nur ganz selten eine Pause, sondern marschiere stramm durch. Wobei ... naja ... am Ende geht mir der Weg dann doch ehrlich gesagt ein bisschen auf den Zeiger, weil ich bin ja nun schon so lange auf den Beinen und dieses blöde Santiago will und will nicht kommen! Bei jedem Anstieg denke ich, dass das jetzt bestimmt der letzte ist - ist er aber nicht, denn da kommen noch ganz viele hinterher und mir geht jedes Gefühl verloren. Ich kenne das Ankommen ja nur aus der anderen Richtung und bin von Süden aus völlig orientierungslos. Und dann kommt es doch endlich und ich stehe ein bisschen dämlich in einer riesigen Baustelle und finde keine Zeichen! Himmel noch eins, darf das denn wahr sein?

 

Auf diesem Camino ist es wohl mein Schicksal, dass ich immer wieder einen Dämpfer kriege, wenn ich unwirsch werde. Diesmal kommt er in Gestalt eines jungen Mannes, der sich offensichtlich richtig wehgemacht hat. Er kann immer nur wenige Schritte hüpfen, gestützt von zwei Freunden, dann muss er sich irgendwie verschnaufen. Sein eines Bein kann er wohl gar nicht mehr belasten. Aber er hat seinen Rucksack auf dem Buckel und Aufgeben ist für ihn ganz offensichtlich keine Option. Ich kriege eine Gänsehaut - als ich ihn sehe und noch Monate später. Ich habe schon ganz oft von Menschen gehört, dass sie sich irgendwie zur Kathedrale durchgebissen haben, aber ich habe es noch nie so unmittelbar gesehen.

Diesmal komme ich also von Süden nach Santiago und muss ein bisschen in mich hineingrinsen, denn ich betrete die Altstadt an einer mir sehr lieben Stelle, nämlich da, wo wir bei unserem ersten Ankommen mit so vielen uns so lieben Menschen gesessen, gegessen und gefeiert haben. Hier habe ich meinen ersten Pulpo bestellt. Heideröslein, ist seit dem viel geschehen!

 

Ich schlendere durch die "Fressgasse" zur Kathedrale und irgendwie ist mir das Herz schwer. Ich weiß, wie entsetzlich es sich anfühlt, alleine an der Kathedrale anzukommen. Nein, meine Lieben, das ist kein schönes Gefühl. Und heute ist da sicherlich niemand, der auf mich wartet, mich anspricht, mich in der Pilgermesse (die ist eh schon vorbei) in die Arme nimmt. Ich habe so unbeschreibliche Dinge erlebt auf meinen Wegen, aber heute ...

 

... verschiebe ich das Ankommenritual auf später und gehe erst einmal in meine Unterkunft im Pinario und stelle meinen Rucksack ab, weil den darf man eh nicht mehr mit in die Kathedrale nehmen. Bei der Gelegenheit hüpfe ich auch noch schnell unter die Dusche. Ich glaube, so sauber wie heute habe ich noch nie vor dem Schrein des Apostels gekniet.

Neinneinnein, nicht melancholisch werden, weil ich gerade alleine bin, ich bleibe das nicht lange, denn bald treffe ich Schokje und Julia wieder und wir führen einen kleinen Freudentanz auf. Uuuund wir haben unsere Ankunft in Santiago unwissentlich wirklich guuut getimed, denn heute wird das Johannisfest gefeiert ... und gefeuert. Überall in der Altstadt gibt es Feuerstellen und die Menschen hüfen über die Flammen, es gibt ganz viel Musik und an allen Ecken galicische Spezialitäten - es ist einfach klasse! Ein großartiger Abschluss eines sehr, sehr, seeehr langen Caminos.