Barcelos - Casa Fernanda

Was auffällt ist, dass furchtbar viele Radfahrer unterwegs sind. Sie kommen gleich in ganzen Rudeln, sind aber wirklich alle sehr freundlich. Natürlich gehen ich sofort zur Seite, wenn ich sie höre, aber sie lassen mir die Möglichkeit, es zu tun, weil ich es möchte, und bedanken sich - auf dem Camino francés hatte ich ganz oft den Eindruck, dass es die Radler einfach alles umfahren, was bei Eins nicht auf die Seite gesprungen ist. Das ist hier gar nicht so. Plödplödplöd. Jetzt kann ich gar nicht über rücksichtslose Radler meckern. So ein Verlust!

 

Dass so viele unterwegs sind, liegt wohl daran, dass heute in Portugal ein Feiertag ist, der Portugal-Tag. Ist das nicht schön: Ein Land feiert sich einfach einen Tag lang selbst! Ich finde das eine guuute Idee. Wie wäre es denn mit einem Deutschland-Tag? 

 

Jaja, ich weiß, eigentlich haben wir den am 3. Oktober, aber mal ehrlich: Wer feiert denn da schon noch die Wiedervereinigung? Unlängst las ich jemanden schreiben, er würde sein Begrüßungsgeld am liebsten wieder zurückzahlen, damit man es ihm nicht immer vorwirft. - Heideröslein!, dachte ich, stimmt, das gab es ja auch. Aber mal ganz ehrlich: Hat das eine Rolle gespielt? Ging es damals nicht um ganz andere Dinge als Geld? Ich erinnere mich noch sehr lebhaft an das beklemmende Gefühl, wenn man vor den Zäunen oder in Berlin an der Mauer stand, aber das scheinen ganz viele Menschen vergessen zu haben und statt mit einem Freudenfest zu feiern, dass die Mauer gefallen ist ... - Entschuldigung, ich bin gerade mal sauer: Anstatt ein bisschen demütig und sehr, sehr dankbar und dadurch glücklich zu sein (ich finde, diese drei Dinge gehören einfach zusammen), passen wir gut auf, dass ja nichts an unserer unschönen Wahrnehmung (notfalls auch gerne mal aus der Luft gegriffen und notdürftig zusammengeschustert) kratzt, anstatt zu feiern, dass die Mauer gefallen ist, rühren unsere grauen Zellen eifrig Mörtel und schleppen Steine herbei. Da soll man nicht sauer werden? Neinnein, Kinders, wir sind schon echte Sonnenscheinchen!

 

Und ich nehme ich da gar nicht aus: Fragt nicht, wie oft ich auf diesem Weg über das Pflaster unter meinen Füßen geschimpft habe wie ein Rohrspatz und wie selten ich stehengeblieben bin und einfach nur die Schönheit rund um mich herum bewundert habe. Hallo!, schließlich bin ich auch ein Sonnenscheinchen!

 

Ich bin inzwischen auch nicht mehr alleine unterwegs, sondern Teil einer richtig netten Pilgerclique geworden, die heute geschlossen bei Fernanda einfallen wird.

 

Fernanda ist mit ihrer Herberge ein absolutes Muss auf dem Zentralweg, eine echte Institution. Für mich stand von Anfang an fest, dass ich bei ihr einkehren werde. Ich habe schon sooo viel von ihr gehört und alle, die von ihr erzählen, bekommen glänzende Äuglein. Die anderen haben fast alle bei ihr reserviert - etwas, was ich eigentlich nicht so gerne mag. Für mich gehört es einfach zu meinen Caminos, dass ich laufe und laufe und laufe und am Ende des Tages gucke, wo ich unterkomme. Es ist ein bisschen Gott- oder vielmehr Jakobusvertrauen - so ein bisschen "Tritt dem Teufel auf den Fuss, du weißt nie, wozu es gut ist" .... und bisher habe ich damit immer sehr gut geschlafen. Ich finde, in unserem Alltag ist alles so festgelegt und geregelt, da macht es einfach Spaß, zumindest auf dem Camino mal ein bisschen seinen Abenteuerer (lach! Wenn das nicht eine maßlose Übertreibung ist! - Jeder halt nach seinem Gutdünken!) herauszulassen und zu gucken, was passiert.

 

Heute mache ich aber eine Ausnahme und rufe von unterwegs bei ihr an, um für mich und einen jungen Mitpilger die letzten beiden Betten klarzumachen.

 

 

Gut, ich mag es nicht vorzureservieren, aber heute ist das anders: Es nimmt mir den Druck der Befürchtung, dass ich womöglich doch nicht mit meiner Clique übernachten kann, und steigert meine Vorfreude auf einen Abend in einer tollen Herberge - die ich ja bis jetzt noch nur vom Hörensagen kenne. So marschiere ich munter und unbeschwert weiter.

 

Dass ich inzwischen nicht mehr alleine bin, habe ich ja gerade schon geschrieben. Aber inzwischen ist mit mir ein bisschen mehr passiert: Ich bin angekommen auf dem Weg. Es hat ein bisschen gedauert ... ein bisschen länger gedauert, aber gut, ich bin halt - und jetzt kommt meine Lieblingsausrede für Alles und Jedes - ein Hesse und habe als solcher eine Gehirnwindung mehr als andere Menschen; da dauert es einfach ein bisschen länger, bis der Groschen fällt. Ich genieße den Weg. Ich genieße es, an eine Bar zu kommen und mich zu Menschen dazuzusetzen, die ich kenne und mag. Ich genieße es, mal zwischendurch ein Stückchen neben jemandem herzulaufen und mit ihm ein bisschen zu schwätzen - manchmal einfach nur zu plappern (und meine Lehrer können alle bestätigen, dass ich das sehr guuut kann), manchmal aber auch ein bisschen mehr von einem Menschen zu erfahren und manchmal ... auch mal ein bisschen eine Rast ein bisschen abseits zu machen, weil man sich beim Laufen so schlecht in die Augen gucken kann und das ist manchmal einfach wichtig.

 

 

Als ich bei Fernanda eintrudele, ist es noch relativ früh, was aber so ganz und gar schön ist, weil wir so herrlich alle kreuz und quer in ihrem Garten herumdüddeln können, reden oder auch einfach nur dasitzen und mit geschlossenen Augen die Nasen in die Sonne halten. Es ist einfach herrlich!

 

Ich weiß, dass Fernanda eine Hospitalera im urursprünglichsten Sinne des Wortes ist: Sie kümmert sich, päppelt Pilger wieder auf, denen es nicht gutgeht, findet auch für den Allerletzten noch ein weiches Plätzchen und ... Ach, Kinders, es macht so ein schönes, warmes Gefühl im Bauch, von ihr umsorgt zu werden!

 

Ein anderes schönes, warmes Gefühl macht ihr Essen im Bauch, das sie für uns, ihre Gäste, zubereitet. D. h. heute ist es zu einem großen Teil ihr Mann, der für den Schmaus zuständig ist, denn es gibt Fisch vom Grill - was ja nun offensichtlich auch in Portugal eine reine Männersache ist.

 

Entschuldigt bitte, aber ich muss gerade mal lachen: Ich lasse für mich die Wutz raus, weil ich Herbergen nicht vorher anrufe - der absolute Hammer! -, Männer lassen sie fliegen, indem sie mit verklärten Augen vor einem Grill stehen! Da spürt man doch wieder Leben in seiner absoluten Ursprünglichkeit! Da erweckt man den Neandertaler in sich! Da fühlt man mal wieder seinen Puls!

 

Apropos Leben und Puls: Glaubt mir, was Fernanda und ihr Mann nach dem Essen so alles aus ihrem Gefrierfach herauszaubern, würde eine ganze Armee wieder auferstehen lassen! Heideröslein! Nach dem dritten Gläschen fragt niemand mehr nach Sonnenschein! Und ihr glaubt gar nicht, wie sich das auf die Zunge und Fremdsprachenkenntnisse auswirkt! Ich jedenfalls erinnere mich an meinen gesamten Französischunterricht von vor über 30 Jahren - auch an die Lektionen, die damals von mir unbeachtet an mir vorbeigegangen sind! - und füge sie mit kleinen spanischen Aufhübschungen mühelos in grundsätzlich englische Sätze ein - pfeif doch auf th und accents - Saúde!

 

Nein, jetzt mal in echt: Wer den Camino Portugués geht und eine Nacht in einer echten Herberge mit echtem Pilgerfeeling verbringen möchte, der findet das (leider und das ist wirklich schade) nur hier!